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[ˈjamɐlapn̩]

Das Wort „Complainer“ wird in Übersetzungsmaschinen neben „Beschwerdeführer“ auch als „Jammerlappen“ [ˈjamɐlapn̩] übersetzt. „Jammerlappen“ bezeichnet umgangssprachlich abwertend eine Person, die sich wehleidig über etwas beklagt. In Wictionary wird „Jammerlappen“ als „Flasche, Heulsuse, Schlappschwanz, Würstchen“ übersetzt, im Woxikon als „Pfeife, Loser, Taugenichts, Krücke, feiger Mensch, Unfähiger Weichling“. Zur Etymologie heißt es bei DWDS: „Jammerlappen m. ‘wehleidig klagender Mensch, Feigling’ (berlin. 19. Jh.), eigentlich (scherzhaft) ‘das zum Abwischen der Tränen benutzte Taschentuch’.“, hier heißt es zur Bedeutung: „feiger, willensschwacher Mensch“. Der Duden schreibt: „allzu ängstlicher, feiger Mensch, der sich alles gefallen lässt und nicht aufzubegehren wagt“ und informiert zur Herkunft: „ursprünglich = Tuch zum Abwischen der Tränen, dann auf seinen Benutzer übertragen“. 

Dieses Übersetzungsergebnis des Wortes „Complainer“ in die deutsche Sprache durch Übersetzungsmaschinen macht Diskriminierungsprozesse sichtbar, die zum einen über den Vorgang des Übersetzens stattfinden und zum anderen durch den Einsatz von Codes verursacht werden, wobei Diskrimierungen im Code mit einem Anschein technischer Neutralität umso wirksamer sind. Diese Beobachtungen machen Gründe sichtbar, warum sich zu beschweren bedeutet, so Ahmed, nicht gehört zu werden: „To be heard as complaining is not to be heard.“ (Ahmed 2021, S. 1). Wer schenkt sein/ihr Ohr jemandem, der als ein „Jammerlappen“ stigmatisiert ist und dessen Beschwerden damit herabgewürdigt und erniedrigt werden? 

Deshalb meine Beschwerde am 17.11.2021 an ein KI-System, an DeepL Translator, info(at)deepl.com:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir möchten Sie gern darüber informieren, dass wir bei unserer Arbeit an der Bauhaus-Universität Weimar zu dem Buch „Complaint!“ von Sara Ahmed https://bkb.eyes2k.net/BauhausUni-2021-22-S2.html festgestellt haben, dass das Übersetzungssystem deepL den englischen Begriff „complainer” u. a. in den deutschen Begriff des abwertenden „Jammerlappen“ übersetzt.

Da es in dem Buch und unserem Seminar unter anderem darum geht, Ablehnungen, Barrieren und Widerstände gegen das Beschweren und gegen Beschwerden zu reflektieren, möchte ich Sie stellvertretend für mein Seminar gern um eine Stellungnahme hierzu bitten. Denn hier scheint es sich um ein Beispiel für eine Diskrimierung im Code zu handeln, die in dem Anschein technischer Neutralität umso wirksamer ist?

Danke & freundliche Grüße

DeepL, Customer Support Specialist I Support, antwortete mit am 22.11.2021:

Sehr geehrte Frau Kleine-Benne, 

vielen Dank, dass Sie uns kontaktiert haben. 

Es tut uns leid zu hören, dass Sie auf diese Fehlübersetzung gestoßen sind. 

Möglicherweise liegt das Problem darin, dass es sich um ein Wort ohne Kontext handelt. Aus diesem Grund raten wir in der Regel davon ab, einzelne Wörter zu übersetzen. Am besten ist es, das Wort zusammen in seinem Kontext zu übersetzen, da unser Übersetzer in der Regel den Kontext überprüft, um eine bessere Übersetzung zu liefern. Selbstverständlich werden wir Ihr Feedback an unsere Entwickler weiterleiten, um die zukünftige Verbesserung unserer Übersetzungsmaschine zu ermöglichen.

Außerdem möchte ich Sie darüber informieren, dass unser Übersetzer nicht mit den Übersetzungen von Kunden lernt, sondern mit Hilfe unserer Sprachexperten und unserer Algorithmen. Außerdem gibt es für einzelne Begriffe je nach Kontext unterschiedliche korrekte Übersetzungen. Daher kann es leider vorkommen, dass unser Übersetzer eine unpassende Übersetzung auswählt.

Wie Sie z. B. unten sehen können, wird das Wort complainer als Beschwerdeführer übersetzt, aber Beschwerdeführerin wird auch als Alternative angeboten.

Vielen Dank für Ihre Geduld. Sollten Sie noch Fragen haben, zögern Sie bitte nicht, uns erneut zu kontaktieren. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag im Namen des gesamten DeepL-Teams.

Mit freundlichen Grüßen

Ich habe daraufhin am 23.11.2021 Folgendes geantwortet:

Sehr geehrter xx,

zunächst vielen Dank für Ihre Antwort.

Sie haben Recht, dass das Übersetzungsergebnis des isolierten Wortes zu genau diesen Ergebnissen führt, die Sie in Ihrem angehängten .png abgefragt haben.

Ich möchte Sie dennoch bitten, sich noch einmal den folgenden Satz von deepl übersetzen zu lassen, um zu sehen, dass es sich nicht nur um ein Kontextproblem (bzw. um ein Entkontextualisierungsproblem) handelt: “You can become a complainer because of where you locate the problem. To become a complainer is to become the location of a problem.“

Danke, dass Sie unsere Beobachtung an Ihre Entwickler*innen weiterleiten,

freundliche Grüße

Wird eine Fortsetzung folgen?

Nachtrag: Am gleichen Abend des 23.11.2021 erhielt ich die folgende Antwort:

Sehr geehrte Frau Kleine-Benne, 

vielen Dank für Ihre Rückmeldung. 

Manchmal kann es immer noch vorkommen, dass unsere automatische Übersetzungsmaschine Übersetzungsfehler macht. Wir werden Ihr Feedback an unser Team weiterleiten, um die zukünftige Verbesserung unserer Übersetzungsmaschine zu ermöglichen.

Vielen Dank für Ihre Geduld. Sollten Sie noch Fragen haben, zögern Sie bitte nicht, uns erneut zu kontaktieren. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag im Namen des gesamten DeepL-Teams.

Mit freundlichen Grüßen

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Beschwerden bei Institutionen Ⅱ

Wie wir alle wissen, ist es für Einzelpersonen sehr schwierig, mit Beschwerden gegen Institutionen Erfolg zu haben. Aber es gibt auch Beispiele für Erfolge. Ich erinnere mich an eine der größeren erfolgreichen Beschwerden in China im Winter 2015. Damals erregte es viel Aufmerksamkeit. Es ging ungefähr so:

China Mobile ist der größte Mobilfunkbetreiber in China (China Mobile ist wie Vodafone in Europa). 2015 führte China Mobile eine neue Regelung für Datenvolumen auf Mobiltelefonen ein: die in einem Monat verbleibende Menge an Datenvolumen würde nun nicht bis zum nächsten Monat aufbewahrt und direkt verrechnet werden. Diese neue Regelung sorgte für viel Unmut unter den Internetnutzern. Doch China Mobile ignorierte diese Beschwerden.

Im November jedoch postete die Schauspielerin Han Xue plötzlich einen Text auf Weibo und @ChinaMobile. (Weibo ist ähnlich wie Facebook.) Sie beschwerte sich, dass diese neue Regel von China Mobile unangemessen sei. Sie argumentierte: “Ich habe dafür bezahlt, warum sollten meine verbleibenden monatlichen Daten auf Null gesetzt werden? Ist das nicht nur eine Mobbing-Klausel?”

Han Xue ist als Star zwar nicht knapp bei Kasse, aber angesichts der Ungerechtigkeit hat sie sich dennoch entschieden, eine Beschwerde einzureichen. Nachdem dies geschehen war, drückte die Mehrheit der Internetnutzer ihre Unterstützung für Han Xue aus. Es war nicht leicht für sie, mit ihrer Beschwerde Erfolg zu haben. Sie selbst rief damals die Beschwerdeabteilung von China Mobile an, um die Angelegenheit zu klären. Der Service war zwar gut, aber das Problem wurde nicht richtig behandelt. Später hatte sie einige kleinere Rechtsstreitigkeiten mit China Mobile in dieser Angelegenheit. Das Endergebnis fiel zu Gunsten von Han Xue aus: China Mobile hat die Regelung eingestellt.

Obwohl die Beschwerde erfolgreich war, lohnt es sich, über die Angelegenheit nachzudenken. Han Xue ist ein Star und hat im Vergleich zu anderen Menschen bereits einen großen Einfluss. Ihr Beschwerdeverfahren war jedoch nicht einfach und sie verließ sich auf das Gesetz, um die Angelegenheit zu regeln. Darin kann sich auch widerspiegeln, wie schwierig es ist für Menschen, die keine Stars sind, sich über “Über-Institutionen” zu beschweren.

Ein Zitat aus dem Buch “Complaint!” von Sara Ahmed lautet:

“As far as the university is concerned, because it is the superior body, everything they say is legitimate by reason of it being the superior body. The more you challenge, the more they come back. I also found the more clearly evident the university was wrong, the more I was challenged.“ (S. 48)

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Voicing displeasure #3 The Code of Visibility

I believe that invisibility for Him made me urge the visibility everywhere else. I must be loud. I must be seen. Spreading the presence wherever I can, proving my existence while being unrepeatable, unique, ubiquitous. You made me visible by hiding me. But watch out, I do have this voice.

The night felt long and exhausting. After I woke up this morning, there was a spit of trauma on my pillow. It is like many others very blurry, but while writing it I sharpen and sculpt it.

I am a parasite, poster poem
©Nadja Kracunovic

WALLS, DRINKS, CODES, AND SCREAMS

The bar was divided by many walls and halls as if it is an apartment adapted to a so-called place for celebrations. It felt as if the whole family and family from a family were standing in that celebration room. The blurry-faced shapes of human bodies, that presented my close friends were behind the celebration wall, with me, drinking vodka in a very hesitated, thirsty manner. In reality, I never drink vodka, but there I am – as drunk as Cooter Brown, celebrating. I can very well recognize the sound of Him through the walls – drunk as well, heavy smoker’s tone, intense and boisterous voice.

The agony entered the celebration room immediately after I did. Greeting the family (probably mine) and kissing the cheeks of the men that I have never seen before. The sweaty, muscular bodies are welcoming and celebrating my arrival – me being there after so long. At that very moment, I recognized just the figure of my little half-brother that I see for the second time. And then, He appeared. To be more precise in the description of this sibling relationship, the only thing we share is exactly Him. Approaching me confidently, bringing by each step this before-the-storm feeling. I trembled the celebration out of my skin. The scream was there coming from His mouth, manifesting years of anger – outrage irritated by my existence. Why is He furious? Shouting and breaking the glasses in front of my fragile, never-used-to-be-screamed-at body. I was the most visible and invisible person in the room. After more than 15 years of absence, He appears and yells all his masculinity at the female offspring. I could not hear the words, it was too loud to understand them. Fifteen years transformed into a simple spillage of anger. That might be the scream of becoming a father for the first time. At least to me.

All the girls in the world, unite. My code is being loud, being visible. My code is being patient and listening. My code is never ever in my life abandoning you, whoever you will be. My code is being strong like She is. The code of mine is taking care of the children, all the children of the world. My code has a voice must use it.

Nadja’s father (Serbian: Nadjin tata), the handmade doll
©Nadja Kracunovic

But, who wants to pass through me, must pass through my room. I yelled back. I screamed my face off, turning purple and spitting the sentences in His face while saying the words I can not understand. I am not a small girl to be shouted at – I am this deep voice that grew up from a child you never wanted.

After one drink
I turn pink
I scream for Him
My body blinks.

To get it all out,
I need some weeks
Increasing my voice
To fight the beast.

After just one drink
I scream to protect
I turn pink
And there comes my act.

I am a parasite,
I am the stain
I exist so much
that He can not obtain.

Voice up the visibility. Pierce the authority.
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Voicing displeasure #2 The Professional Cry

Salty liquid. The sea of the eye lobe. Isn’t it absolutely the same as going to pee? Goes in – goes out. I drop the tears and let them unite into the army. Teary tear, just be.

There was me and four girls from Iran, by coincidence. We were trying to empower our feminity and learn to say NO. We said NO many times in these three hours. I almost broke into the tiniest thousand pieces of human flesh. I tried not to. Never show the instability, delicacy and fragile persona. Drop the humor, start the joke. It is not professional to cry.

NO, digital poster ©Nadja Kracunovic


The third girl said that she feels this socially constructed burden and pressure of being the ideal worker, the best one in the world. The best one in the class. The best one in the bed. The best from the best. Best beast in the wildness.

Me? I bumped into the presence of the physical objects being inside my body because my clock tik-tak-ed and it was time to drop it. What is this pile of thorns which pierce my stomach?

You are not allowed to be a pussy. You are not allowed to be a pussy.
If you are going to be a pussy, be the best one you can possibly be.

Cry holders, digital drawing ©Nadja Kracunovic

Crying my best

There is a cave inside my chest,
little yellow stone, in my own trap.
Hold it up, bravely
Let it shape and progress.

There is desert inside my belly,
blown away from the West.
I tried to protect it,
by sheltering it with my legs.

Nevertheless,
I AM THE BEAST.
I must hold it up,
until I increase.

Melting the cave
into the cheese,
licking the floor
with my fragile knees.

I wanted to scream,
from the bottom of my feet.

My tears.
My precious tears.

The end of it is almost there, near.
Hold the breath, up – the chin!

Don’t you agree
with the crying discipline?
Controled by the queen,
I hold the steer.

I am crying my best!
Can’t you see?

Sharpen your tears, it is going to be a long one.


©Nadja Kracunovic