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art basic book chapter

Neither the devouring nor the gaping, neither the invisible nor the unnoticed, neither the threatening nor the unclosable gap, but the gap that is recognized and acknowledged.

“Mind the Gap” is the motif of the first illustration in Sara Ahmed’s book “Complaint!”, page 30: In a view from above, the lettering “MIND THE GAP” is embedded in a floor mosaic on the edge of a train platform; the train tracks can still be seen at the upper edge of the picture. The caption is: “The gap between what is supposed to happen and what does happen.”

This sentence refers to Ahmed’s observation of complaint processes on the same page of the book: Here, something does not coincide, namely that which is supposed to happen by means of a complaint in accordance with the policies and procedures and that which actually happens. There is a gap between the two, the should and the is. This gap is “densely populated” (p. 30), says the continuous text above the illustration, it should be paid attention to: “To mind the gap is to listen and learn from those who are experiencing a process.” (ibid).

“Mind the Gap” is the safety notice that can be seen at London Underground stations and heard as an announcement, a warning to passengers not to fall into the gap between the platform and the threshold of the tube. “Mind the Gap” is also the slogan of the London Student Feminists at the University of London, but here with a call to value and promote gender difference. One phrase, two applications, two meanings: one to pay attention to the gap in order to overcome it, the other to pay attention to the gap in order to acknowledge it. Ahmed’s variant combines both the warning and the expression of respect: to take care of the gap means first to recognize it, then to acknowledge it. 

That this message is visualized with the black-and-white illustration of the London Underground at Victoria station, where subway stations meet at different levels of elevation and construction, indicates Ahmed’s interest in the operational level of her topic, “Complaint!” How do which (cultural, institutional, linguistic) techniques meet, how can they be connected or made connectable without leveling their differences? How can differences not be ignored, how can differences be recognized as differences without stigmatizing them into difference? How can closures (of gaps) take place without closing them, but keeping them unclosed? “Mind the Gap” means with Ahmed: notice and respect the gap.

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basic book chapter general

Weder die verschlingende noch die klaffende, weder die unsichtbare noch die unbeachtete, weder die drohende noch die unschließbare Lücke, sondern die Lücke, die erkannt und anerkannt wird.

„Mind the Gap“ ist das Bildmotiv der ersten Abbildung innerhalb von Sara Ahmeds Buch „Complaint!“, auf Seite 30: Zu sehen ist in einer Ansicht von oben der, in ein Bodenmosaik eingelassene Schriftzug „MIND THE GAP“ an einer Bahnsteigkante; am oberen Bildrand sind noch die Zuggleise zu sehen. Die Bildunterschrift lautet: „The gap between what is supposed to happen and what does happen.“ (Die Kluft zwischen dem, was geschehen soll, und dem, was tatsächlich geschieht.) 

Dieser Satz bezieht sich auf Ahmeds Beobachtung von Beschwerdevorgängen auf der gleichen Seite des Buches: Hier fällt etwas nicht in eins, und zwar dasjenige, was mittels einer Beschwerde in Übereinstimmung mit den Richtlinien und Verfahren geschehen soll, und dasjenige, was tatsächlich geschieht. Zwischen beidem, dem Soll und dem Ist, klafft eine Lücke. Diese Lücke sei „dicht bevölkert“ („densely populated“, S. 30), heisst es im Fließtext oberhalb der Abbildung, ihr solle Aufmerksamkeit geschenkt werden: „Sich um die Lücke zu kümmern, bedeutet, zuzuhören und von denjenigen zu lernen, die einen Prozess erleben.“ („to mind the gap is to listen and to learn from those who experience a process.“, ebd.)

„Achten Sie auf die Lücke“ lautet der Sicherheitshinweis, der an den Stationen der Londoner U-Bahn zu sehen und als Durchsage zu hören ist, ein Warnhinweis an die Passagiere, nicht in die Lücke zwischen Bahnsteig und Türschwelle der U-Bahn zu fallen. „Mind the Gap“ lautet auch der Slogan der London Student Feminists der Universität London, hier allerdings mit dem Aufruf, den Unterschied der Geschlechter zu wertschätzen und zu fördern. Ein Satz, zwei Anwendungen, zwei Bedeutungen: die eine, auf die Lücke zu achten, um sie zu überwinden, die anderen, die Lücke zu achten, um sie anzuerkennen. Ahmeds Variante kombiniert sowohl den Warnhinweis als auch die Respektbekundung miteinander: Sich um die Lücke zu kümmern, bedeutet zunächst einmal, sie zu erkennen, um sie dann anzuerkennen. 

Dass diese Botschaft mit der Schwarz-Weiss-Abbildung der Londoner Underground im Bahnhof Victoria visualisiert ist, in dem U-Bahn-Stationen auf unterschiedlichen Höhenniveaus und in unterschiedlicher Bauweise aufeinander treffen, deutet auf Ahmeds Interesse für die operative Ebene ihres Themas „Complaint!“ hin: Wie treffen welche (Kultur-, Institutions-, Sprach-) Techniken aufeinander, wie können sie aneinander anschließen oder anschließbar gemacht werden, ohne ihre Differenzen zu nivellieren? Wie können Differenzen nicht ignoriert werden, wie können Differenzen als Differenzen anerkannt werden, ohne sie zur Differenz zu stigmatisieren? Wie können Verschließungen (von Lücken) stattfinden, ohne sie zu verschließen, sondern sie entverschlossen zu halten? „Mind the Gap“ heißt mit Ahmed: Beachte und achte die Lücke.

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basic complaints example general

[ˈjamɐlapn̩]

Das Wort „Complainer“ wird in Übersetzungsmaschinen neben „Beschwerdeführer“ auch als „Jammerlappen“ [ˈjamɐlapn̩] übersetzt. „Jammerlappen“ bezeichnet umgangssprachlich abwertend eine Person, die sich wehleidig über etwas beklagt. In Wictionary wird „Jammerlappen“ als „Flasche, Heulsuse, Schlappschwanz, Würstchen“ übersetzt, im Woxikon als „Pfeife, Loser, Taugenichts, Krücke, feiger Mensch, Unfähiger Weichling“. Zur Etymologie heißt es bei DWDS: „Jammerlappen m. ‘wehleidig klagender Mensch, Feigling’ (berlin. 19. Jh.), eigentlich (scherzhaft) ‘das zum Abwischen der Tränen benutzte Taschentuch’.“, hier heißt es zur Bedeutung: „feiger, willensschwacher Mensch“. Der Duden schreibt: „allzu ängstlicher, feiger Mensch, der sich alles gefallen lässt und nicht aufzubegehren wagt“ und informiert zur Herkunft: „ursprünglich = Tuch zum Abwischen der Tränen, dann auf seinen Benutzer übertragen“. 

Dieses Übersetzungsergebnis des Wortes „Complainer“ in die deutsche Sprache durch Übersetzungsmaschinen macht Diskriminierungsprozesse sichtbar, die zum einen über den Vorgang des Übersetzens stattfinden und zum anderen durch den Einsatz von Codes verursacht werden, wobei Diskrimierungen im Code mit einem Anschein technischer Neutralität umso wirksamer sind. Diese Beobachtungen machen Gründe sichtbar, warum sich zu beschweren bedeutet, so Ahmed, nicht gehört zu werden: „To be heard as complaining is not to be heard.“ (Ahmed 2021, S. 1). Wer schenkt sein/ihr Ohr jemandem, der als ein „Jammerlappen“ stigmatisiert ist und dessen Beschwerden damit herabgewürdigt und erniedrigt werden? 

Deshalb meine Beschwerde am 17.11.2021 an ein KI-System, an DeepL Translator, info(at)deepl.com:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir möchten Sie gern darüber informieren, dass wir bei unserer Arbeit an der Bauhaus-Universität Weimar zu dem Buch „Complaint!“ von Sara Ahmed https://bkb.eyes2k.net/BauhausUni-2021-22-S2.html festgestellt haben, dass das Übersetzungssystem deepL den englischen Begriff „complainer” u. a. in den deutschen Begriff des abwertenden „Jammerlappen“ übersetzt.

Da es in dem Buch und unserem Seminar unter anderem darum geht, Ablehnungen, Barrieren und Widerstände gegen das Beschweren und gegen Beschwerden zu reflektieren, möchte ich Sie stellvertretend für mein Seminar gern um eine Stellungnahme hierzu bitten. Denn hier scheint es sich um ein Beispiel für eine Diskrimierung im Code zu handeln, die in dem Anschein technischer Neutralität umso wirksamer ist?

Danke & freundliche Grüße

DeepL, Customer Support Specialist I Support, antwortete mit am 22.11.2021:

Sehr geehrte Frau Kleine-Benne, 

vielen Dank, dass Sie uns kontaktiert haben. 

Es tut uns leid zu hören, dass Sie auf diese Fehlübersetzung gestoßen sind. 

Möglicherweise liegt das Problem darin, dass es sich um ein Wort ohne Kontext handelt. Aus diesem Grund raten wir in der Regel davon ab, einzelne Wörter zu übersetzen. Am besten ist es, das Wort zusammen in seinem Kontext zu übersetzen, da unser Übersetzer in der Regel den Kontext überprüft, um eine bessere Übersetzung zu liefern. Selbstverständlich werden wir Ihr Feedback an unsere Entwickler weiterleiten, um die zukünftige Verbesserung unserer Übersetzungsmaschine zu ermöglichen.

Außerdem möchte ich Sie darüber informieren, dass unser Übersetzer nicht mit den Übersetzungen von Kunden lernt, sondern mit Hilfe unserer Sprachexperten und unserer Algorithmen. Außerdem gibt es für einzelne Begriffe je nach Kontext unterschiedliche korrekte Übersetzungen. Daher kann es leider vorkommen, dass unser Übersetzer eine unpassende Übersetzung auswählt.

Wie Sie z. B. unten sehen können, wird das Wort complainer als Beschwerdeführer übersetzt, aber Beschwerdeführerin wird auch als Alternative angeboten.

Vielen Dank für Ihre Geduld. Sollten Sie noch Fragen haben, zögern Sie bitte nicht, uns erneut zu kontaktieren. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag im Namen des gesamten DeepL-Teams.

Mit freundlichen Grüßen

Ich habe daraufhin am 23.11.2021 Folgendes geantwortet:

Sehr geehrter xx,

zunächst vielen Dank für Ihre Antwort.

Sie haben Recht, dass das Übersetzungsergebnis des isolierten Wortes zu genau diesen Ergebnissen führt, die Sie in Ihrem angehängten .png abgefragt haben.

Ich möchte Sie dennoch bitten, sich noch einmal den folgenden Satz von deepl übersetzen zu lassen, um zu sehen, dass es sich nicht nur um ein Kontextproblem (bzw. um ein Entkontextualisierungsproblem) handelt: “You can become a complainer because of where you locate the problem. To become a complainer is to become the location of a problem.“

Danke, dass Sie unsere Beobachtung an Ihre Entwickler*innen weiterleiten,

freundliche Grüße

Wird eine Fortsetzung folgen?

Nachtrag: Am gleichen Abend des 23.11.2021 erhielt ich die folgende Antwort:

Sehr geehrte Frau Kleine-Benne, 

vielen Dank für Ihre Rückmeldung. 

Manchmal kann es immer noch vorkommen, dass unsere automatische Übersetzungsmaschine Übersetzungsfehler macht. Wir werden Ihr Feedback an unser Team weiterleiten, um die zukünftige Verbesserung unserer Übersetzungsmaschine zu ermöglichen.

Vielen Dank für Ihre Geduld. Sollten Sie noch Fragen haben, zögern Sie bitte nicht, uns erneut zu kontaktieren. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag im Namen des gesamten DeepL-Teams.

Mit freundlichen Grüßen

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book complaints

The first page turning

Even before the book “Complaint!” starts with the so-called half-title, the first page preceding the title page, it is preceded by 4 pages entitled “Praise for Sara Ahmed”. These are words of praise from colleagues or reviewing media (such as Library Journal or Los Angeles Review of Books) for six of Ahmed’s earlier publications, for “What’s The Use. On the Uses of Use” (2019), “Living a Feminist Life” (2017), “Willful Subjects” (2014), “On Being Included. Racism and Diversity in Institutional Life” (2012), “The Promises of Happiness” (2010) and “Queer Phenomenology. Orientations, Objects, Others” (2006), published by Duke University Press.

Sara Ahmed is a prolific freelance researcher and writer who explores how power operates in language, families, everyday life, institutions and cultures, assigning/performing gender identities and steering them into traditional hetero-patriarchal trajectories, how power is abused, but also how abuses of power can be identified and existing hierarchies and inequalities dismantled, what forms of resistance exist and what it “costs” to speak out and behave in a resistant way. In her now eleven books, she uses the tools of intersectional feminist cultural analysis to make visible institutional structures and effects of heteronormativity, racialisation, colonial power, and heteropatriarchal gender assignment. Her book publications, like her blog posts on https://feministkilljoys.com, stand amidst the investigations and methodologies of affect theories, cultural studies, critical race studies, queer theory and feminist theories. Ahmed is interested in how governments function and how they can be challenged and changed to alternative futures. By reflecting on bullying, harassment, emotional abuse, violence, assault, or rape in domestic and academic settings, she examines the tangled and intertwined processes, most of which are difficult to penetrate and dissect, that intersect amidst (also institutionalised) sexism, racism and colonial violence.

But @publisher Duke, to start a publication with 4 pages of praise and then get to the title page with the author’s name and the title of the publication is a publishing decision that is difficult to comprehend. Advertising should (perhaps) be placed where potential readers can be addressed or reading decisions can be influenced: on the back cover, on the publisher’s website, in flyers, in social media. This is where praise can (perhaps) attract attention and make an impact. On the other hand, promoting a book within the reading section and even before the book begins is incomprehensible to me. The inside section of a book is reserved for the author and her text. I would be curious to see how Ahmed herself would deconstruct these 4 pages and put them into a mechanism of action of institutional operations of power, knowledge and truth. But now I am looking forward to reading …

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book complaints

Das erste Blättern

Noch bevor das Buch „Complaint!“ mit der sogenannten Schmutztitelseite, der ersten, dem Titelblatt vorangestellten Seite startet, sind ihm 4 Einzelseiten vorangestellt, die mit „Praise for Sara Ahmed“ übertitelt sind. Hierbei handelt es sich um lobende Worte von Kolleg*innen oder rezensierender Medien (wie Library Journal oder Los Angeles Review of Books) für sechs frühere Publikationen von Ahmed, für „What’s The Use. On the Uses of Use“ (2019), „Living a Feminist Life“ (2017), „Willful Subjects“ (2014), „On Being Included. Racism and Diversity in Institutional Life“ (2012), „The Promis of Happiness“ (2010) und „Queer Phenomenology. Orientations, Objects, Others“ (2006), die im Verlag Duke University Press erschienen sind.

Sara Ahmed ist eine sehr produktive, freie Wissenschaftlerin und Autorin, die erforscht, wie Macht in Sprache/n, Familien, Beziehungen, Alltag, Institutionen und Kulturen wirkt, Geschlechtsidentitäten zuweist/performiert und in tradierte hetero-patriarchale Bahnen lenkt, wie Macht missbraucht wird, aber auch, wie Machtmissbrauch identifiziert sowie existierende Hierachien und Ungleichheiten abgebaut werden können, welche Formen des Widerstands existieren und was es „kostet“, sich widerständig zu Wort zu melden und zu verhalten. In ihren mittlerweile elf Büchern setzt sie die Instrumente der intersektionalen feministischen Kulturanalyse ein, um institutionelle Strukturen und Auswirkungen von Heteronormativität, Rassifizierung, kolonialer Macht und heteropatriarchaler Geschlechterzuweisung sichtbar zu machen. Ihre Buchpublikationen stehen ebenso wie ihre Blogeinträge auf https://feministkilljoys.com inmitten der Untersuchungen und Methoden von Affekttheorien, Cultural Studies, Critical Race Studies, Queer Theory und feministischer Theorien. Ahmed interessiert, wie Regierungen funktionieren und wie sie herausgefordert und zu alternativen Zukünften verändert werden können. Indem sie Mobbing, Belästigung, emotionalen Missbrauch, Gewalt, Körperverletzung oder Vergewaltigung im häuslichen und akademischen Umfeld reflektiert, untersucht sie die verworrenen und verschlungenen, meist kaum durchdring- und sezierbaren Prozesse, die sich inmitten von (auch institutionalisiertem) Sexismus, Rassismus und kolonialer Gewalt überschneiden.

Aber @Verlag Duke, eine Publikation mit 4 Seiten Lob zu starten, um dann zu der Titelseite mit dem Namen der Autorin und dem Titel der Publikation zu kommen, ist eine Verlagsentscheidung, die kaum nachzuvollziehen ist. Werbung ist (vielleicht) sinnvoll an den Stellen zu platzieren, an denen potentielle Leser*innen angesprochen oder Leseentscheidungen beeinflusst werden können: auf der Buchrückseite, auf Verlagswebseiten, in Flyern, in den sozialen Medien. Hier können Lobeshymnen (vielleicht) Aufmerksamkeit und Wirkung erzielen. Ein Buch hingegen innerhalb des Leseteils und noch vor Beginn des Buches zu bewerben, ist mir nicht verständlich. Der Innenteil eines Buches ist der Autorin und ihrem Text vorbehalten. Ich wäre neugierig, wie Ahmed selbst diese 4 Seiten dekonstruieren und in einen Wirkmechanismus von institutionellen Macht-, Wissens- und Wahrheitsoperationen setzen würde. Aber nun bin ich gespannt auf die Lektüre …

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Making the unnoticed visible. Rachel Whiteread’s “Double-Doors” on the cover of Sara Ahmed’s “Complaint!”

The cover of the publication “Complaint!” by Sara Ahmed (2021) shows an exhibition photograph of the installation “Double-Doors II, A+B”, 2006/2007 by Rachel Whiteread. In this photographed “room”, “Sara Ahmed” is set above the doors in cream-coloured capital letters and in 2D. The photograph is surrounded by a frame, also cream-coloured, in the lower part of which the title of the book and a quotation from Angela Davis are set in black letters and the same typography as above.

The “Double-Doors” are the focus of attention; in contrast to the entire publication, including its illustrations in the interior section in black and white, the cover and thus also the photograph of the doors is printed in grey-white-black-toned colours. This colour printing is reminiscent of a griseille technique or also of monochrome colour field paintings, they rely on a strong shadow effect in their effects, were used in different centuries and for different genres: Griseille for medieval panel/ancient paintings or also stained glass in churches and monasteries, monochrome (here in greyscale) can find its application in all fields (advertising, photography, design, interior/architecture) and was a preferred format in modernism. The colour-field paintings were often large-format, to the point of colour uniformity, and were often painted by male painters.

Here now are Whiteread’s double doors, two quite obviously unrelated, different door variants. The reference to Whiteread is noted on the back of the cover, so that Whiteread’s name does not compete with Ahmed’s name, and so it is not immediately apparent to quick readers or readers unfamiliar with art that the cover design is an illustration of an artistic sculpture.

Whiteread’s artistic strategy essentially focuses on transforming everyday objects such as mattresses, boxes, hot-water bottles, but also staircases and entire houses, and even doors, into sculptural negative forms made of resin, rubber, concrete or plaster, sometimes even taking another replica from the replica. In this way, the cavities hidden in the objects take shape and, in particular, the surfaces, their wounds, scratches and wear and tear are materialised. With this negative replica process (also referred to as mummification in theoretical reception), the 1993 Turner Prize winner transforms the previous voids that existed in familiar routines but were not recognisable, the seemingly absent, into a volume that can now in turn attract attention like a crime scene and evoke new themes and interpretations. These can be memories, pasts, nostalgias, pains, obsessions, pathologies, etc. The previously unseen becomes imaginable and visible through a minimalist process of abstraction and materialisation, especially the traces of use on the surfaces become recognisable, documented and archived and can be interpreted by the recipients in a personal process of reception. Whiteread herself speaks of the entrails she is interested in, entrails that no one has seen before and now become sculptural.

Ahmed is also interested in previous emptiness, the previously unsaid and unobserved, which is now to find presence. She dissects the “entrails”, the inner life – of complaint operations: What takes place, where and by whom, with whom, what is enforceable, what is prevented? And she is interested in the traces that arise and remain, the pain, injuries and scars that are documented and archived as possibly traumatised psyches, as in Whiteread’s sculptures. Both colleagues focus their attention on doors. While Whiteread seems to be interested not only in the topos but also in the formal as sculptural questions, perhaps also in psychological and physical similarities to the users, Ahmed emphasises both their metaphorical and operational dimension with the doors: doors must be opened in order to make and enforce complaints, complaints are made behind closed doors, doors are closed for those who complain or are closed:

„Doors can tell us something not only about who can get in but who can get by or who can get through. After all, when a path is no longer available to us, a door becomes a figure of speech: we say that door is closed. A women of colour academic described her department as a revolving door, “women and minorities” enter, only to head right out again: whoosh, whoosh.“ Source: https://feministkilljoys.com/2020/03/17/slammed-doors/

„Note then: power can work through what might seem a light touch: all you need to do to close a door on someone is to write them a less positive reference. This means that: the actions that close doors are not always perceptible to others. A closed door can itself be imperceptible; we can think back to the how diversity is figured as an open door; come in, come in; as if there is nothing stopping anyone from getting in or getting through. Or it might be that the effects of the actions are perceptible but the actions are not: so when someone is stopped, it seems they stopped themselves.“ Source: https://feministkilljoys.com/2020/03/17/slammed-doors/

The fact that Whiteread’s exhibition photograph of the door installation has now just been put on the cover of Ahmed’s book in greyscale colours certainly has something to do with the source photograph. Whiteread’s material, both the sculptures and installations and the exhibition photographs, not infrequently turn out in this colour scheme. But with the decision to design the cover in this way and exactly this way, next semantic levels merge with each other: it is about the “entrails”, which can now already be more precisely designated in the application of the technique of griseille or monochrome. For these artistic techniques reference specific places (churches, monasteries), times (modernity) and practitioners of these techniques (male artist colleagues) and can thus determine very precise structural and cultural techniques and framework conditions. The use of griseille and monochrome thus makes a meta-commentary on the subject: Attention, the cover seems to announce, we are located with the now following contents between the book covers in toxic, ideological, (quasi-)religious, traumatic, maltreating, in effective contexts of meaning of patriarchally effective structures and cultures.

This is also the context in which the quote from Angela Davis, the ancestor of the US civil rights movement and feminism, chosen for the cover design, is to be understood:  “Complaint! is precisely the text we need at this moment.“ Like Whiteread’s artistic strategy of transforming negative forms into positive forms or recognising the positive in the negative replica – for example, the doorknob in the hole – this is precisely what is envisaged for Ahmed’s book; the use of plaster for the materialisation of the absent, which is used as a healing material in medicine, points in the direction of the concern presented here.

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Das Nichtbemerkte sichtbar machen. Rachel Whitereads „Double-Doors“ auf dem Cover von Sara Ahmeds „Complaint!“

Das Cover der Publikation „Complaint!“ von Sara Ahmed (2021) zeigt eine Ausstellungsfotografie der Installation „Double-Doors II, A+B“, 2006/2007 von Rachel Whiteread. In diesen fotografierten „Raum“ ist oberhalb der Türen in cremefarbenen Großbuchstaben und in 2D „Sara Ahmed“ gesetzt. Die Fotografie ist von einem ebenfalls cremefarbenen Rahmen umgeben, in dem unteren Teil des Rahmen ist der Titel des Buches und ein Zitat von Angela Davis in schwarzen Schrift und der gleichen Typografie wie oben gesetzt.

Im Zentrum des Blicks stehen die „Double-Doors“, im Unterschied zu der gesamten Publikation einschließlich ihrer Abbildungen im Innenteil in Schwarz-Weiß ist der Einband und damit auch die Fotografie der Türen in Grau-Weiß-Scharz-getönten Farben gedruckt. Dieser Farbdruck erinnert an eine Griseille-Technik oder auch an monochrome Farbfeldmalereien, sie setzen in ihren Effekten auf eine starke Schattenwirkung, wurden in verschiedenen Jahrhunderten und für verschiedene Genre eingesetzt: Griseille für mittelalterliche Tafel-/Altarmalereien oder auch Glasmalereien in Kirchen und Klöstern, Monochromie (hier in Graustufen) findet in allen Bereichen ihre Anwendung (Werbung, Fotografie, Design, Innen-/Architektur) und war ein bevorzugtes Format in der Moderne. Die Farbfeldmalereien waren oft großformatig, bis hin zur Farbengleichheit und wurden oft von männlichen Malern gemalt.

Hier nun Whitereads Doppel-Türen, zwei ganz offensichtlich nicht zusammen gehörende, unterschiedliche Türvarianten. Die Referenz auf Whiteread ist auf der Rückseite des Einbandes notiert, so dass Whitereads Name nicht in Konkurrenz zu Ahmeds Namen tritt und damit für schnelle oder kunstunwissende Leser*innen auch nicht gleich erkenntbar ist, dass es sich bei der Einbandgestaltung um die Abbildung einer künstlerischen Plastik handelt.

Whitereads künstlerische Strategie konzentriert sich im Wesentlichen darauf, Alltagsgegenstände wie zum Beispiel Matratzen, Schachteln, Wärmflaschen, aber auch Treppen und ganzen Häuser, und eben auch Türen in skulpturale Negativformen aus Harz, Gummi, Beton oder Gips zu überführen, manchmal auch vom Abdruck einen nächsten Abdruck zu nehmen. Über diesen Weg nehmen die Hohlräume, die sich in den Gegenständen verbergen, Gestalt an und werden insbesondere die Oberflächen, ihre Wunden, Kratzer und Abnutzungen materialisiert. Mit diesem Negativabgussverfahren (in der Theorierezeption auch als Mumifizierung bezeichnet) verwandelt die Turner-Preisträgerin von 1993 die vorherigen, in den vertrauten Routinen zwar vorhandenen, aber nicht erkennbaren Leeren, das scheinbar Absente in ein Volumen, das nun seinerseits wie ein Tatort Aufmerksamkeit finden kann und neue Themen und Be-/Deutungen evoziert. Hierbei kann es sich etwa um Erinnerungen, Vergangenheiten, Nostalgien, Schmerzen, Obzessionen, Pathologien etc. handeln. Das zuvor Nichtgesehene wird durch einen minimalistischen Abstrahierungs- und Materialisierungsvorgang vorstell- und sichtbar, insbesondere die Gebrauchsspuren auf den Oberflächen werden erkennbar, dokumentiert und archiviert und können von den Rezipient*innen in einem persönlichen Rezeptionsprozess be-/deutet werden. Whiteread selbst spricht von den Eingeweiden, die sie interessiert, Eingeweide, die zuvor niemand zu Gesicht bekommen hat und nun skulptural werden.

Auch Ahmed interessiert sich für bisherigen Leeren, das bisher Ungesagte und Unbeobachtete, das nun zur Präsenz finden soll. Sie seziert die „Eingeweide“, das Innenleben – und zwar von Beschwerdeoperationen: Was findet hier wo und durch wen, bei wem statt, was ist durchsetzbar, was wird unterbunden? Und sie interessiert die Spuren, die entstehen und zurückbleiben, die Schmerzen, Verletzungen und Narben, die wie in Whitereads Plastiken als womöglich traumatisierte Psychen dokumentiert und archiviert werden. Beide Kolleginnen richten dabei ihr Augenmerk auf Türen. Während Whiteread neben dem Topos das Formale als skulpturale Fragen, vielleicht auch psychologische und körperliche Ähnlichkeiten zu den Benützerinnen zu interessieren scheinen, stellt Ahmed mit den Türen sowohl deren metaphorische als auch operative Dimension heraus: Türen müssen geöffnet werden, um Beschwerden anzubringen und durchzusetzen, Beschwerden werden hinter verschlossenen Türen vorgebracht, Türen sind für diejenigen, die sich beschwerden, verschlossen oder werden geschlossen:

„Türen können uns nicht nur etwas darüber sagen, wer eintreten kann, sondern auch, wer vorbeikommt oder wer durchkommen kann. Denn wenn uns ein Weg nicht mehr offen steht, wird eine Tür zu einer Redewendung: Wir sagen, dass die Tür geschlossen ist. Eine farbige Akademikerin beschrieb ihre Abteilung als eine Drehtür, durch die “Frauen und Minderheiten” eintreten, nur um gleich wieder hinauszugehen: wusch, wusch.“ Quelle: https://feministkilljoys.com/2020/03/17/slammed-doors/

„Beachten Sie also: Macht kann durch eine scheinbar leichte Berührung wirken: Alles, was Sie tun müssen, um jemandem eine Tür zu schließen, ist, ihm eine weniger positive Referenz zu schreiben. Das bedeutet, dass die Handlungen, die Türen schließen, für andere nicht immer wahrnehmbar sind. Eine geschlossene Tür kann selbst nicht wahrnehmbar sein; wir können uns daran erinnern, wie Vielfalt als offene Tür dargestellt wird; hereinspaziert, hereinspaziert; als ob es nichts gibt, was jemanden daran hindert, hereinzukommen oder durchzukommen. Oder es könnte sein, dass die Auswirkungen der Handlungen wahrnehmbar sind, die Handlungen selbst aber nicht: Wenn jemand aufgehalten wird, scheint es, als hätte er sich selbst aufgehalten.“ Quelle: https://feministkilljoys.com/2020/03/17/slammed-doors/

Dass Whitereads Ausstellungsfotografie der Tür-Installation nun gerade in Graustufenfarben auf das Cover von Ahmeds Buch gebracht wurde, hat sicher auch mit der Ausgangsfotografie zu tun. Whitereads Material, sowohl die Plastiken und Installationen als auch die Ausstellungsfotografien, fallen nicht selten in dieser Farbgebung aus. Aber mit der Entscheidung, den Einband so und genau so zu gestalten, verschmelzen nächste semantische Ebenen miteinander: Es geht um die „Eingeweide“, die in Anwendung der Technik der Griseille oder der Monochromie nun schon genauer bezeichnet werden können. Denn diese künstlerischen Techniken referenzieren bestimmte Orte (Kirchen, Klöster), Zeiten (Moderne) und Praktizierende dieser Techniken (männliche Künstlerkollegen) und können damit sehr genaue strukturelle und kulturelle Techniken und Rahmenbedingungen bestimmen. Der Einsatz von Griseille und Monochromie nimmt damit einen Metakommentar auf das Thema vor: Achtung, scheint das Cover mitzuteilen, wir befinden uns mit den nun folgenden Inhalten zwischen den Buchdeckeln in toxischen, ideologischen,  (quasi-)religiösen, traumatischen, malträtierenden, in wirkmächtigen Bedeutungszusammenhängen patriarchial wirksamer Strukturen und Kulturen.

In diesem Kontext ist auch das für die Umschlaggestaltung ausgewählte Zitat der Altvordern von US-amerikanischer Bürgerrechtsbewegung und Feminismus Angela Davis zu verstehen: „Complaint!  is precisly the text we need at this moment.“ Wie Whitereads künstlerische Strategie, Negativformen zu Positivformen umzuwandeln bzw. im Negativabdruck das Positiv zu erkennen – beispielsweise im Loch den Türknauf – wird genau das auch für Ahmeds Buch in Aussicht gestellt; der Einsatz von Gips für die Materialisierung des Absenten, das als ein Heilungsmaterial (in) der Medizin eingesetzt wird, weist die Richtung des hier vorgetragenen Anliegens.

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Term „Complaint!ivism?“

Complaint!ivism?, neologism, still with implicit questioning: linguistic expression for a ? movement, technique, form of critique ? that places complaints at the centre of its operations. 

Word combination from

1.) the September 2021 book by Sara Ahmed “Complaint!” (Duke University Press), in which she studies complaints through the oral and written testimonies of academics and students who have made complaints about harassment, bullying, and unequal working conditions at universities. Ahmed explores the gap between what is supposed to happen when complaints are made and what actually happens. The book is a systematic analysis of the ways in which complaints can be both enforced and stopped.

2.) The suffix ‘ivism’ points to a variant of genrefication, i.e. the formation of a genre, of making complaint activities usable for the artistic field. This can be both the subject of the complaint (its methods, potentials, difficulties, etc.) and the technique of complaining (when? Where? How? To whom? With whom?). The question mark indicates a provisional nature, since at this stage this is a hypothesis to be tested in the course of the winter semester 2021/22. The examination includes, among other things, the clarification of similarities or differences, for example, to Institutional Critique, Protest Art or Conflictual Aesthetics, and is to be lined out using concrete examples from the artistic and curatorial field.

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Begriff “Complaint!ivism?”

Complaint!ivism?, Neologismus, noch mit impliziter Fragestellung: sprachlicher Ausdruck für eine ? Bewegung, Technik, Kritikform ?, die Beschwerden in das Zentrum ihrer Operationen stellt. 

Wortkombination aus

1.) dem im September 2021 erschienenen Buch von Sara Ahmed „Complaint!“ (Duke University Press), in dem sie mittels mündlicher und schriftlicher Aussagen von Akademiker*innen und Studierenden, die sich über Belästigung, Mobbing und ungleiche Arbeitsbedingungen an Universitäten beschwert haben, eine Studie zu Beschwerden verfasst. Ahmed untersucht hierin die Kluft zwischen dem, was passieren soll, wenn Beschwerden vorgebracht werden, und dem, was dann tatsächlich geschieht. Das Buch ist eine systematische Analyse der Methoden, in deren Anwendung Beschwerden sowohl durchzusetzen als auch unterbunden werden können.

2.) Der Suffix ‚ivism‘ weist auf eine Variante der Genrefizierung, also der Bildung eines Genres hin, Beschwerdeaktivitäten für das künstlerische Feld nutzbar zu machen. Hierbei kann es sich sowohl um das Thema der Beschwerde (deren Methoden, Potentiale, Schwierigkeiten etc.) als auch um die Technik des Beschwerens (Wann? Wo? Wie? Gegenüber wem? Mit wem?) handeln. Das Fragezeichen verdeutlicht eine Vorläufigkeit, da es sich hierbei zum jetzigen Stand um eine Hypothese handelt, die im Verlauf des Wintersemesters 2021/22 zu prüfen ist. Die Prüfung beinhaltet unter anderem die Klärung von Gemeinsamkeiten oder Unterschieden etwa zur Institutional Critique, zur Protest Art oder zur Conflictual Aesthetics und soll anhand konkreter Beispiele aus dem künstlerischen, kuratorischen und kunstinstitutionellen Bereich vorgenommen werden.

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In September 2021, Sara Ahmed’s new book titled “Complaint!” (Duke University Press) has been published. The text is a collection of reports about complaints and their attempts to defend themselves, equipped with reflections, pain and questions. In it, Ahmed proposes a “Complaint Activism,” noting that a gap exists between what a complaint should set in motion and what happens afterwards.

We, the seminar “Complaint!ivism?” at the Bauhaus-University Weimar, Faculty Art and Design, will in the winter semester 2021/22 enrich our reading of this text with artistic examples, e.g. Institutional Critique and Investigative Art, which deal with the topic in their own formats (as installation, intervention, performance, net.art, motion picture …). We will continuously implement our approach to Ahmeds text in a blog as a collective text that can be considered a multi-perspective and perhaps multilingual review of the book. 

Im September 2021 ist das neue Buch von Sara Ahmed mit dem Titel “Complaint!” (Duke University Press) erschienen. Der Text ist eine Sammlung von Zeugnissen über Beschwerden und ihren Abwehrversuchen, ausgestattet mit Reflexionen, Schmerz und Fragen. Ahmed schlägt hierin einen “Complaint Activism”, einen Beschwerdeaktivismus vor und stellt fest, dass eine Kluft existiere, zwischen dem, was eine Beschwerde in Gang setzen solle, und dem, was im Anschluss passiere. 

Wir, das Seminar “Complaint!ivism?” an der Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Kunst und Gestaltung, werden im Wintersemester 2021/22 unsere Lektüre dieses Textes mit künstlerischen Beispielen, z. B. der Institutional Critique und der Investigative Art anreichern, die sich in ihren je eigenen Formaten (der Installation, der Intervention, der Performance, der Netzkunst, des Films …) mit dem Thema auseinandersetzen. Unsere Annäherung an den Text von Ahmed werden wir kontinuierlich in diesem Blog als einen kollektiven Text umsetzen, der als ein mehrperspektivischer und vielleicht auch mehrsprachiger Rezensionstext des Buches gelten kann.